»Und der Umstand«, fuhr der Pädagoge der Sturmgewalt fort, »daß du dich nach solchen Dingen erkundigst, deutet auf einen destabilen Geist hin, wie er für die Grotesken typisch ist. Wir Zweier haben jenes niedere Stadium hinter uns gelassen.«

»Wer sind die ›Grotesken‹?« fragte Ern.

Der Pädagoge der Finsteren Kälte sah ihn streng an. »Erneut neigt deine Denkweise zu ungeordneten Assoziationen und einer Herausforderung der Autorität!«

»Mit allem Respekt, Pädagoge der Finsteren Kälte: Ich möchte doch nur erfahren, was ›falsch‹ ist, damit ich es besser vom ›Richtig‹ unterscheiden kann.«

»Es genügt völlig, wenn du dich ganz auf das ›Richtige‹ besinnst, ohne dabei irgendeinen Bezug auf das ›Falsche‹ zu nehmen!«

Und damit mußte sich Ern begnügen. Bevor die Pädagogen die Kammer verließen, warfen sie ihm noch einen kurzen Blick zu. Ern hörte, wie sie sich leise unterhielten, und er verstand einige Worte: »… verblüffende Absonderlichkeit…«

»… doch die beiden Schädelkämme…«

Im Refektorium trugen die Einer-Mädchen den Schülern Speisen auf, und verstohlen beobachtete Ern seine Gefährten. Sie waren zwar kaum kleiner als er, doch ihre Proportionen unterschieden sich von den seinen. Ihre Körperform hatte eine zylindrische Ausprägung gewonnen und wirkte nicht annähernd so kantig. Wenn er sich von den Zweiern unterschied, wer war er dann? Ein ›Grotesker‹? Und worum handelte es sich dabei eigentlich? Um einen maskulinen Zweier? Zu dieser Annahme neigte Ern, denn sie erklärte sein Interesse an den Einer-Mädchen. Er sah ihnen dabei zu, wie sie mit Tabletts hin und her eilten. Einer, ja – und doch übten sie einen unleugbaren Reiz auf ihn aus…

Nachdenklich kehrte Ern in seine Kammer zurück. Nach einer Weile kam eins der Einer-Mädchen vorbei, und Ern bestellte es zu sich und äußerte seine Wünsche. Die junge Frau wirkte überrascht und verwirrt, schien seinem Anliegen jedoch nicht abgeneigt zu sein. »Du müßtest eigentlich ein Neutrum sein. Was mögen die anderen denken?«

»Gar nichts – solange alles unter uns bleibt.«

»Ich verstehe. Aber ist so etwas denn möglich? Ich bin eine Einer, und du bist ein Zweier…«

»Ob es möglich ist, wird sich erst herausstellen, wenn wir es versucht haben. Das dürfte doch wohl klar sein, oder?«

»Nun, wie du meinst…«

Ein Mahner kam ins Zimmer und riß die Augen auf. »Was ist denn hier los?« Er sah genauer hin und taumelte entsetzt auf den Flur zurück. »Ein Grotesker, ein Grotesker! Direkt unter uns! Zu den Waffen! Tötet den Grotesken!«

Ern stieß das Mädchen von sich. »Kehr zu den anderen zurück und streite alles ab. Ich glaube, ich sollte jetzt besser verschwinden.« Er lief auf den Mittelweg und sah sich um. Die Hellenbardenträger waren bereits von dem Zwischenfall unterrichtet worden und rüsteten sich traditionell aus. Das dauerte natürlich seine Zeit, und Ern nutzte die Gelegenheit und floh aus dem Dorf. Die Zweier verfolgten ihn und riefen Flüche und rituelle Verwünschungen. Der meerrechte und zum Pfahlwald und Sumpf führende Weg war blockiert. Deshalb wandte sich Ern nach meerlinks, in Richtung der steilen Klippenwand. Er duckte sich unter Fächerpalmen und Wurmbäumen hinweg und fand schließlich ein Versteck hinter einer Ansammlung großer Pilze. Die Hellebardenträger stürmten vorbei, und dadurch bekam er einen kleinen Aufschub.

Ern richtete sich wieder auf und überlegte, wohin er jetzt gehen sollte. Ob er nun ein Grotesker war oder nicht: Die Zweier offenbarten eine unbegreifliche Feindseligkeit. Warum griffen sie ihn an? Er hatte doch versucht, sich ihnen anzupassen, einer von ihnen zu werden – ohne ihre Traditionen zu verletzen. Er nickte: Die Einer trugen die Schuld. Um die Zweier zu täuschen, hatten sie zwei lange Narben auf dem Kopf Erns entstehen lassen – und dafür konnte man ihn wohl kaum verantwortlich machen. Konfus und niedergeschlagen lenkte Ern seine Schritte der Küste entgegen. Dort konnte er wenigstens Nahrung finden. Als er ein Torfmoor überquerte, sahen ihn die Hellebardenträger und schrien sofort: »Der Groteske! Der Groteske!« Und wieder mußte Ern um sein Leben laufen, durch einen dichten Wald aus Zykadeen und Dendriten, auf den Klippenwall zu, der nun direkt vor ihnen in die Höhe ragte.

Eine massive Steinwand versperrte ihm den Weg, ein Bauwerk, das sehr alt sein mußte, denn es hatten sich bereits schwarze und braune Fladen aus Flechten darauf gebildet. Ern eilte an der Mauer entlang, und die Hellebardenträger folgten ihm nach wie vor und riefen noch immer: »Der Groteske! Der Groteske!«

Schließlich entdeckte er eine Lücke in der Wand. Ern schob sich hindurch und gelangte auf die andere Seite, wo er sich hinter einem Federbusch versteckte. Die Hellebardenträger blieben dicht vor dem Riß in der Mauer stehen, schwiegen und schienen nicht genau zu wissen, was sie jetzt unternehmen sollten.

Verzagt wartete Ern auf Entdeckung und Tod, denn der Busch konnte seine massige Gestalt kaum verbergen. Einer der Hellebardenträger wagte sich schließlich durch die Lücke, stöhnte überrascht und erschrocken und sprang rasch wieder zurück.

Das Geräusch von Schritten, die sich entfernten – dann Stille. Vorsichtig kroch Ern hinter seinem Versteck hervor, trat an die Mauer heran und spähte durch den Riß. Die Zweier waren fort. Sonderbar, dachte Ern. Sie mußten gewußt haben, daß er sich in unmittelbarer Nähe befand… Er drehte sich um. Zehn Schritte entfernt stand der größte Mann, den er jemals gesehen hatte: Er lehnte auf einem Schwert und beobachtete ihn aufmerksam. Der Mann war fast zweimal so massig wie der schwerste Zweier. Er trug einen braunen Umhang aus weichem Leder, und an den Unterarmen glänzten metallene Manschetten. Seine Haut war runzlig und grau, so hart wie Horn. Die Gelenke der Arme und Beine wirkten ausgesprochen dick und massig, was auf enorme Körperkraft hindeutete. Der Kopf war ziemlich breit und wies auffallende Kerben und Buckel auf. Die Augen funkelten wie Kristalle und lagen tief in den Höhlen. Auf dem Schädel sah Ern drei zackige Kämme. Außer dem Schwert führte er auch noch eine andere Waffe bei sich – einen sonderbar anmutenden Gegenstand aus Metall mit einem langen Stutzen. Vorsichtig kam der Hüne einen Schritt näher heran. Ern wich zurück, doch aus irgendeinem Grund ergriff er nicht die Flucht.

»Warum waren sie hinter dir her?« fragte der Mann mit tiefer und heiser klingender Stimme.

Ern reagierte mit Erleichterung darauf, daß der Hüne nicht auf der Stelle über ihn herfiel, um ihn zu töten. »Sie bezeichnen mich als einen ›Grotesken‹ und machten Jagd auf mich.«

»Du sollst ein Grotesker sein?« Der Dreier betrachtete den Kopf Erns. »Du bist ein Zweier.«

»Die Einer haben mir mit einem Messer in den Kopf geschnitten, auf daß zwei lange Narben entstanden und sie mich an die Zweier verkaufen konnten.« Ern betastete die Striemen, und dabei bemerkte er etwas anderes. Zu beiden Seiten der Narben und auch in der Mitte fühlte er die Kammbuckel eines Erwachsenen. Und es waren insgesamt drei. Sie wuchsen rasch. Selbst wenn er sich den Zweiern gegenüber nicht verraten hätte: Über kurz oder lang, zum Beispiel durch das Absetzen seiner Kappe, wären sie sich über seine wahre Natur klargeworden. »Mir scheint, ich bin ebenso ›grotesk‹ wie du«, sagte er leise.

Der Dreier schnaufte kurz. »Komm mit!«

Sie wanderten durch den Wald und folgten dem Verlauf des Pfades, der eine Zeitlang an der Klippenwand vorbeiführte. Nach einer Weile erreichten sie ein Tal. Hinter einem Teich stand ein großes Haus aus Stein, zu beiden Seiten flankiert von hohen Türmen mit konischen und spitz zulaufenden Dächern. Zwar waren die Gebäude bereits alt und verwittert, doch sie beeindruckten Ern sehr.

Durch ein hölzernes Portal führte der Dreier seinen Begleiter auf einen Innenhof, der das Erstaunen Erns weckte. Bewundernd sah er sich um. Am gegenüberliegenden Ende erweckten einige große Granitblöcke und eine überhängende Felsplatte den Eindruck, sich in einem Gewölbe zu befinden, in einer riesigen Grotte. Wasser plätscherte, und an einigen Stellen wuchsen weiches und schwarzes Moos und farblose Zykadeen.

In einem Bereich erkannte Ern etwas, das er für ein Lager hielt: Eine große Bastmatte bedeckte den mit weichem Torf ausgelegten Boden. Die offenen Abschnitte kamen einem Sumpfgarten gleich, und Ern nahm den Geruch von Riedgras, Wasserpflanzen und harzigem Holz wahr. Ebenso verblüffend wie wundervoll, dachte Ern. Weder die Einer noch die Zweier konstruierten etwas, das anderen als unmittelbar praktischen Zwecken diente.

Der Dreier führte Ern durch den Hof und in eine steinerne Kammer. Auf der einen Seite rieselte ebenfalls erfrischende Nässe herab, und festgetretener Torf bildete eine angenehm weiche Schicht auf dem Granit. Unter der Decke lagerte die Habe des Dreiers: Töpfe und kleine Kisten, ein Tisch, ein Schrank, Werkzeuge und Utensilien.

Der Dreier deutete auf eine Sitzbank. »Nimm Platz!«

Ern kam der Aufforderung sofort nach.

»Hast du Hunger?«

»Nein.«

»Wie wurde der Schwindel entdeckt, von dem du mir vorhin berichtet hast?«

Ern schilderte die Vorgänge, durch die er sich verraten hatte. Der Dreier gab durch nichts zu erkennen, ein derartiges Verhalten zu mißbilligen, und das machte Ern wieder Mut. »Ich habe schon lange vermutet, anders zu sein als die gewöhnlichen Zweier.«

»Ganz offensichtlich bist du ein Dreier«, sagte der Hüne. »Im Gegensatz zu den Zweier-Neutren sind Dreier eindeutig männlichen Geschlechts, und das erklärt auch dein Interesse für die Einer-Frauen. Leider gibt es keine weiblichen Dreier.« Er musterte Ern. »Hat man dir von der Art deiner Geburt berichtet?«

»Ich bin das Ergebnis einer Verbindung von Einer-Eiern.«

»Ja. Die Einer-Frauen legen Eier mit unterschiedlicher sexueller Bestimmung, jeweils drei in einem Haufen.

Das Muster ist männlich-weiblich-männlich und entspricht der Natur ihres Organismus. Im Innern der Legeröhre bildet sich eine Scheide. Das Austreten des Eis stimuliert einen Schließmuskel, was zu einer Einkapselung führt. Ist die betreffende Frau unachtsam, gelingt es ihr nicht, die Eier voneinander zu trennen, und dann geraten zwei von ihnen in Kontakt. Der männliche Brütling dringt in das Ei des weiblichen vor und verbindet sich mit ihm. Auf diese Weise entsteht ein Zweier. Wesentlich seltener geschieht es, daß sich drei Eier berühren: Ein männliches Wesen verschmilzt mit einem weiblichen, und anschließend dringt das Doppelgeschöpf in die nächste Kapsel vor und nimmt das dritte maskuline Exemplar in sich auf. Das Ergebnis ist ein männlicher Dreier.«

Ern dachte an seine eigene Geburt zurück. »Ich war allein und begegnete einem männlich-weiblichen-Zwitter. Der Kampf dauerte ziemlich lange.«

Der Dreier dachte eine ganze Zeitlang über diese Worte nach, und Ern fragte sich schon, ob er ihn irgendwie beleidigt hatte. Schließlich antwortete er: »Ich heiße Mazar der Letzte. Angesichts deiner Anwesenheit sollte ich den Namenszusatz wohl weglassen. Ich bin an Einsamkeit gewöhnt und alt und garstig geworden. Meine Gesellschaft könnte dir nicht gefallen. Wenn das der Fall ist, mach dich ruhig auf den Weg, um dich anderenorts niederzulassen. Wenn du hingegen bei mir bleiben möchtest, bin ich bereit, dich alles zu lehren, was ich weiß – obgleich das kaum einen Sinn hat, denn bestimmt kommen die Zweier bald mit einem ganzen Heer, um uns zu töten.«

»Ich bleibe«, sagte Ern. »Bisher kenne ich nur die Zeremonien der Zweier, von denen ich vermutlich nie Gebrauch machen werde. Gibt es keine anderen Dreier?«

»Die Zweier haben alle umgebracht – bis auf mich, Mazar den Letzten.«

»Und Ern.«

»Ja, und Ern.«

»Was ist mit den Regionen meerlinks und meerrechts von uns, mit den Bereichen jenseits der Flüsse? Gibt es vielleicht noch andere Küsten, andere Männer und Frauen?«

»Wer weiß? Der Sturmwall verläuft parallel zur Finsteren Wand. Das Schmale Land erstreckt sich… bis wohin? Niemand vermag eine Antwort darauf zu geben. Wenn es tatsächlich bis in die Unendlichkeit reicht, müssen auch alle Möglichkeiten Realität geworden sein. Dann gibt es tatsächlich noch viele andere Einer, Zweier und Dreier. Doch wenn das Schmale Land im Chaos endet, sind wir vermutlich allein.«

»Ich bin nach meerlinks und meerrechts geschwommen, bis ich breite Flüsse fand«, sagte Ern. »Das Schmale Land setzte sich fort, und ein Ende habe ich nicht gesehen. Ich glaube, es ist tatsächlich endlos. Etwas anderes könnte ich mir nur schwer vorstellen.«

»Vielleicht hast du recht«, erwiderte Mazar barsch. »Komm!« Er geleitete Ern durch das große Steinhaus, durch Arbeitszimmer und Speicher, durch Kammern, die mit Andenken, Trophäen und vielen seltsamen Dingen gefüllt waren.

»Wozu dienen alle diesen wunderbaren Objekte? Gab es viele Dreier?«

»Wir waren einmal ein großes Volk«, entgegnete Mazar, und seine Stimme klang dabei so rauh und dumpf wie das Fauchen und Zischen ferner Stürme. »Doch seitdem ist so viel Zeit verstrichen, daß ich mich nicht mehr genau daran entsinnen kann. Ich bin der letzte.«

»Warum gab es damals so viele, und warum existieren heute nur noch zwei, wir beide?«

»Es ist eine traurige Geschichte. An der Küste lebten Einer, deren Bräuche sich von denen ihrer im Sumpfgebiet wohnenden Artgenossen unterschieden. Es war ein friedliches Volk, und regiert wurde es von einem Dreier, der durch einen Zufall zur Welt kam: Mena der Erste. Er ließ die Frauen ihre Eier so legen, daß jeweils drei einen Haufen bildeten, und auf diese Weise entstanden viele Dreier. Es war eine großartige Idee. Das harte Leben der Einer gefiel uns nicht, ebensowenig die Existenz der Zweier. Wir schufen ein neues Volk. Wir lernten den Umgang mit Eisen und Stahl, und wir bauten sowohl dieses steinerne Haus als auch viele andere. Und die Einer und Zweier profitierten von unserem Wissen und machten sich einen Teil davon zu eigen.«

»Warum zogen sie schließlich gegen euch in den Kampf?«

»Unsere Freiheit bewirkte Furcht in ihnen. Wir machten uns daran, das Schmale Land zu erforschen. Viele Meilen weit drangen wir nach meerrechts und meerlinks vor. Einer Expedition gelang es, die Finster-Kälte zu durchdringen, und die Forscher durchstreiften eine Eiswüste, in der es so dunkel war, daß sie Fackeln anzünden mußten. Wir bauten ein Floß und schickten es durch den Sturmwall. Drei Einer befanden sich an Bord, und ein langes Seil wurde an dem Gefährt befestigt. Als wir es zurückzogen, waren die Einer tot. Das Wüten in der Sturmgrenze hatte sie umgebracht. Daraufhin gerieten die Präzeptoren der Zweier außer sich. Sie meinten, wir seien gottlos und sündig, und sie stellten die Einer zu einem Heer zusammen und verließen die Sümpfe. Die Armee fiel über die Einer an der Küste her, und anschließend erklärte sie uns den Krieg. Mit Fallen, Gift und gelegentlichenÜberfällen dezimierten sie uns, und sie zeigten keine Gnade. Wir wehrten uns und töteten Zweier. Sie waren immer zahlreicher als wir Dreier.

Oh, ich könnte dir noch lange von dem Krieg erzählen, dir berichten, wie jeder einzelne meiner Kameraden starb. Nun, ich bin der letzte. Niemals stoße ich in die Bereiche jenseits der Mauer vor, und die Zweier scheinen nicht sonderlich darauf versessen zu sein, mich anzugreifen, denn sie fürchten mein Gewehr. Doch genug damit. Sieh dich in deiner neuen Heimat um; du kannst dich hier frei bewegen, aber betrachte die Mauer als eine Grenze. Auf der anderen Seite warten die Zweier, und sie würden dich sofort töten, könnten sie deiner habhaft werden. In den Kisten befinden sich Nahrungsmittel. Leg dich aufs Moos und ruh dich aus. Denk gründlich über alles nach. Und wenn du Fragen hast, so wende dich an mich. Ich werde sie beantworten.«

Im Anschluß an diese Worte ging Mazar fort. Ern erfrischte sich mit dem Wasser der Grottenkaskade, aß etwas und begab sich dann auf die graue Wiese, um nachzudenken. Nach einer Weile wurde Mazar neugierig und trat auf zu ihn. »Nun«, fragte er, »was geht dir durch den Kopf?«

»Ich verstehe jetzt viele Dinge, die mir zuvor rätselhaft erschienen«, erwiderte Ern. »Darüber hinaus bedaure ich es, das Einer-Mädchen zurückgelassen zu haben, das mir gegenüber eine recht kooperative Haltung einzunehmen schien.«

»Das hängt ganz von dem jeweiligen Individuum ab«, sagte Mazar. »Damals beschäftigten wir viele solche Personen als Hausangestellte. Allerdings ist ihr geistiges Potential nicht sehr ausgeprägt.«

»Wenn es Dreier-Frauen gäbe: Könnten sie dann nicht Eier legen, aus denen schließlich Dreier-Kinder schlüpfen?«

Mazar winkte schroff ab. »Es gibt keine Dreier-Frauen. Das war nie der Fall. Der besondere Entstehungsprozeß bringt nur Dreier-Männer hervor.«

»Und was wäre, wenn wir Einfluß auf jenen Prozeß nehmen?«

»Pah. Die Ovulation der Einer-Frauen entzieht sich unserer Kontrolle.«

»Vor langer Zeit«, sagte Ern, »habe ich eine Einer-Frau beobachtet, die ihr Nest vorbereitete. Sie legte die Eier in Gruppen zu je drei Stück. Wenn wir genügend Eier sammeln, sie anders anordnen und so deponieren, daß sie sich berühren, würde sich vielleicht das weibliche Geschlecht als dominant herausstellen.«

»Das ist ein sehr ungewöhnlicher Vorschlag«, entgegnete Mazar. »Und meines Wissens hat bisher noch niemand einen solchen Versuch gewagt. Bestimmt läßt sich so etwas nicht bewerkstelligen… Vermutlich wären entsprechende Frauen nicht fruchtbar. Oder sie könnten grotesk sein, wirkliche Ungeheuer.«

»Wir haben unser Leben einem derartigen Vorgang zu verdanken«, wandte Ern ein. »Und wir sind deshalb Männer, weil zwei maskuline Eier zur Dreier-Gruppe gehörten. Doch wenn es eine männliche und zwei weibliche Kapseln wären – oder gar drei feminine –, so müßte das Ergebnis eine Frau sein, oder? Und was die Fruchtbarkeit angeht: In dieser Hinsicht lassen sich erst dann sichere Aussagen treffen, wenn wir einen Versuch unternommen haben.«

»Das ist doch Unfug!« entfuhr es Mazar. Er straffte seine Gestalt, und die drei Schädelkämme sträubten sich. »Ich will nichts mehr davon hören!«

Die heftige Reaktion des Dreiers betrübte Ern, und er ließ den Kopf hängen. Langsam drehte er sich um und ging nach meerrechts, in Richtung der Mauer.

»Was hast du vor?« rief Mazar ihm nach.

»Ich gehe in den Sumpf.«

»Und was willst du dort?«

»Nach Eiern suchen und dafür sorgen, daß eine Dreier-Frau schlüpft.«

Mazar starrte ihn groß an, und in seinen Augen blitzte es. Ern spannte die Muskeln an und bereitete sich innerlich darauf vor, von einem Moment zum anderen die Flucht zu ergreifen. Dann jedoch sagte der alte Dreier: »Wenn deine Vermutungen stimmen, sind alle meine Kameraden umsonst gestorben. Und mein Leben in der Einsamkeit wäre nichts anderes als Zeitverschwendung gewesen.«

»Vielleicht läßt sich mein Plan nicht in die Tat umsetzen«, erwiderte Ern. »Und in dem Fall bleibt alles beim alten.«

»Du gehst ein großes Wagnis ein«, brummte Mazar. »Die Zweier sind jetzt wachsam geworden.«

»Ich begebe mich an die Küste und schwimme in Richtung des Sumpfes. Sie werden mich nicht entdecken. Und außerdem: Was könnte ich sonst schon mit meinem Leben anfangen?«

»Dann geh«, sagte Mazar, wobei seine Stimme noch heiserer klang als zuvor. »Ich bin alt und habe nicht mehr genug Mumm. Vielleicht gibt es noch eine Chance für unser Volk. Mach dich auf den Weg, sei vorsichtig und kehr mit heiler Haut zurück. Denk daran: Wir beide sind die letzten noch lebenden Dreier.«

Mazar wanderte an der Mauer entlang. Manchmal riskierte er es, den Pfahlwald aufzusuchen und das Dorf der Zweier zu beobachten. Er hatte den Eindruck, daß Ern schon seit einer halben Ewigkeit fort war. Schließlich vernahm er aus der Ferne den Schrei: »Der Groteske! Der Groteske!«

Die drei Schädelkämme Mazars sträubten sich, und kühn lief er los, in die Richtung, aus der er die Rufe gehört hatte. Ern kam ihm entgegen. Er sah ziemlich mitgenommen aus, und Schlammbrocken klebten ihm auf der Haut. Er trug einen Binsenkorb. Einige wütende Hellebardenträger der Zweier folgten ihm, und etwas weiter entfernt liefen einige Einer-Männer, die ihre Gesichter bemalt hatten. »Hierher!« brüllte Mazar. »Zur Mauer!« Er legte sein Gewehr an, und die Hellebardenträger waren so aufgebracht, daß sie der Gefahr keine Beachtung schenkten. Ern eilte an dem alten Dreier vorbei. Mazar zielte und drückte den Abzug durch. Flammenzungen leckten über vier Zweier, und kreischend und mit rudernden Armen stürmten sie durch den Wald davon. Die anderen verharrten. Mazar und Ern wichen in Richtung der Mauer zurück und schoben sich durch den Riß. Die restlichen Zweier mit den Lanzen waren so außer sich vor Zorn, daß sie alle Vorsicht außer acht ließen und erneut losliefen. Mazar schwang sein Schwert und köpfte einen der Gegner. Die anderen wandten sich entsetzt und von Grauen erfüllt zur Flucht.

Ern ließ sich zu Boden sinken und preßte den Korb an sich.

»Wie viele?« fragte Mazar.

»Ich habe zwei Nester gefunden, und aus jedem davon nahm ich drei Haufen.«

»Und waren die Nester und Haufen voneinander getrennt? Vielleicht können Brütlinge aus verschiedenen Nestern nicht miteinander verschmelzen.«

»Mach dir keine Sorgen, Mazar! Ich habe auf alles geachtet.«

Der alte Dreier trug die Leiche des geköpften Zweiers an die Mauer heran und warf sie in den Pfahlwald. Den Schädel schleuderte er den in der Ferne wartenden Einer-Männern entgegen. Niemand von ihnen brachte genug Mut auf, um ihn anzugreifen.

Als sie sich wieder in dem steinernen Haus befanden, legte Mazar die Eier auf den Boden und gab ein zufriedenes Brummen von sich. »Jeder Haufen enthält neben zwei runden Eiern ein ovales: männlich und weiblich. Die möglichen Kombinationen sind klar.« Er dachte kurz nach. »Zwei maskuline Brütlinge ergeben zusammen mit einem weiblichen einen männlichen Dreier. Zwei weibliche und ein männlicher hingegen sollten das feminine Geschlecht bestimmen… Es dürfte zu einem Überschuß an maskulinen Eiern kommen. Das bedeutet, es werden zwei männliche Dreier entstehen.

Vielleicht sogar noch mehr, wenn es möglich ist, daß drei maskuline Brütlinge miteinander verschmelzen.« Er runzelte die Stirn. »Ich überlege gerade, ob wir auch versuchen sollten, einen Vierer schlüpfen zu lassen.«

»In dieser Hinsicht würde ich zur Vorsicht mahnen«, warf Ern ein.

Mazar hob überrascht und auch ein wenig unwillig den Kopf. »Bist du denn soviel klüger und weiser als ich?«

Ern vollführte eine höfliche Geste, mit der er zum Ausdruck brachte, daß er es sich niemals anmaßen würde, Autorität und Erfahrung Mazars in Frage zu stellen. Zumindest in diesem Zusammenhang erwiesen sich die Unterweisungen der Zweier-Pädagogen als nützlich. »Ich wurde in den Watten geboren und lebte bei den Wasserkindern. Unser gefährlichster Feind war der Oger, der in einem Sumpfloch lauerte. Während der Suche nach den Eiern habe ich ihn erneut gesehen. Er ist größer als wir beide zusammen. Seine Gliedmaßen sind dick und unförmig. Von seinem mißgestalteten breiten Kopf hängen lange rote Flaumzöpfe. Und vier Kämme ragen aus seinem Schädel.«

Mazar schwieg eine Zeitlang, und nach einer Weile sagte er: »Wir sind Dreier und sollten deshalb dafür sorgen, daß weitere Dreier entstehen. Laß uns mit der Arbeit beginnen!«

Die Eier lagen im kühlen Schlamm, nur drei Schritte vom Wasser des Teiches entfernt.

»Und jetzt brauchen wir nur noch zu warten«, meinte Mazar, »und können die Zeit nutzen, um nachzudenken.«

»Ich sorge dafür, daß sie überleben«, sagte Ern. »Ich bringe ihnen Nahrung und schütze sie. Und wenn sie weiblichen Geschlechts sind…«

»Es werden zwei Dreier-Frauen schlüpfen«, erklärte Mazar mit fester Stimme. »Daran habe ich keinen Zweifel. Ich bin zwar alt, aber… Nun, warten wir’s ab.«

Originaltitel: »The Narrow Land« Copyright © 1967 by Ziff Davis Publishing Co. (in »Fantastic Science Fiction«, Juli 1967) Deutsche Übersetzung von Andreas Brandhorst

Die Pilger